Cocculus. Kokkelskörner. Menispermaceae.

Botanical name: 

Photo 151. Kokkelskörner. Karte 108. Anamirta cocculus. Name: Anamirta cöcculus Wight et Arnott. (= A. paniculata Colebrooke, = Menispernum cocculus L. (Wall.). Kokkelskörner, Fischkörner, Tollkörner. Französisch: Coque du Levant; englisch: Cockles; polnisch: Rybitrutka; tschechisch: Chebule.

Namensursprung: Cocculus, Verkleinerung von coccus, χ_χχνς (kökkos) = Beere, wegen der einer kleinen Beere ähnlichen Frucht. Anamirta soll ein indischer Name sein, der von Colebrooke eingeführt ist und dem Namen dort einheimischer Menispermaceen entsprechen soll. Menispermum von μίνις (menis) = Halbmond und σπ_ρμα (sperma) = Same, ein Name, der sich auf die Form der Früchte bezieht. Paniculatus = rispenförmig.

Botanisches: Anamirta cocculus ist ein Schlingstrauch, dessen Stengel bis zu 15 cm dick wird, und dessen ältere Rinde grau, rissig und korkartig ist. Die lederartigen, immergrünen Blätter sind wechselständig, breit-oval, 20-30 cm lang, am Grunde meist herzförmig, vorn mit kurzer Spitze. Oberseits sind sie glatt und dunkelgrün, unterseits bläulich-grün und weißlich bestäubt. Die zahlreichen kleinen, getrenntgeschlechtlichen, unscheinbaren, gelblichen Blüten sind wohlriechend und bilden sehr lange (bis 30 cm), herabhängende Trauben oder Rispen. Die Früchte sind einsamige Steinfrüchte. Die Fruchttraube enthält bis zu 300 Früchte. Die gestielten, nierenförmigen Früchte sind dunkelpurpurn. Nach dem Trocknen werden sie mattbräunlich-grün mit feinen Runzeln und Höckern. Stamm und Wurzel der Schlingpflanze zeigen einen eigentümlichen Zuwachs aus sekundären Kambiumbündeln, die sich in der Rinde bilden.

Heimat: Ostindien, Ceylon und die Malaiischen Inseln.

Geschichtliches und Allgemeines:

In der Literatur der alten Inder finden die Kokkelskörner keine Erwähnung, auch ist es nicht sicher, ob die alten arabischen Ärzte sie wirklich gekannt haben. Allerdings nennen mehrere von ihnen, darunter auch Avicenna, eine Droge, die eine fischtötende Eigenschaft besitzen soll, doch beschreiben sie sie als Rinde, geben auch nicht Indien als Heimat an. Schon Ibn Baytar (13. Jahrhundert) gesteht seine Unfähigkeit ein, eine sichere Angabe über die von den älteren arabischen Ärzten gemeinte Droge zu machen. Auch die Schule von Salerno nennt sie nicht. Sichere Angaben finden wir erst im 16. Jahrhundert. In Europa wurde die Droge zuerst in Venedig unter dem Namen Caccole di Levante eingeführt, später wurde sie auch mit Baccae cotulae Elephantinae (einer Entstellung von Cocculi levantici), Gallae orientalis, Grana coccule bezeichnet. Unter dem letzten Namen finden wir sie in Deutschland zuerst in einem Verzeichnis der Ratsapotheke in Braunschweig (1528). Valerius Cordus (1549) hielt eine ägyptische Solanaceae für die Stammpflanze der Kokkelskörner, die er Cuculi di Levante nennt. Condronchus schrieb 1581 eine Abhandlung, wie man Fische mit Kokkelskörnern fangen könne. Die Fische werden betäubt, verlieren das Gleichgewicht und schwimmen auf dem Rücken. Eine Vorschrift für die Zubereitung eines Fischtollköders findet sich in den "Wohlbewährten Fischgeheimnüssen" 1758 (zit. nach Zaunick, Die Fischerei-Tollköder in Europa vom Altertum bis zur Neuzeit, 1929): "Nimm ein halb Loth oder 16 Kuckels-Körner, ein Loth Fenchel, Dilsaamen etwas weniger denn dieser zweyer, stoss sie zusammen, darnach nimm ungeschmelzet Schäfen-Unschlit in der Grösse eines Eyes, und eine halbe Eyer-Schale voller Honig, mit einem Vierling schafenen Käse, stosse und menge es alles untereinander, thue auch ein wenig Kampfer darzu, so wird ein Teiglein daraus, mache Kügelein, etwan so groß als die Kuckelskörner sind, und wirff sie hinein in die Tieffe, wann sie anfangen zu blicken, so bedeuts, daß sie das Aas gegessen (!) haben. Warte darnach eine halbe Stunde, so fahren sie selber ans Land, und kehren das Weiße über sich, so kanst du sie mit einem kleinen Hälmlein fein heraus fangen ...." Das sogenannte "Kokkeln" der Fische ist gesetzlich streng verboten. Manchmal wird Cocculus auch als Insektenvertilgungsmittel benutzt. In Norwegen nehmen die Seeleute neuerdings auf ihre Fahrten Cocculus als Mittel gegen Seekrankheit mit. In England wurden die Kokkelskörner auch zur Verfälschung des Bieres benutzt. In Ostindien dient die Wurzel des Strauches als Arzneimittel, und die bitteren Stengel werden zur Bekämpfung des Wechselfiebers angewandt. Aus dem Öl der Kerne werden Kerzen hergestellt.

Wirkung

Äußerlich wurden die Kokkelskörner in der älteren Medizin als Läusemittel (v. Haller, Medicin. Lexicon, 1755, S. 436.), gegen Kopfgrind und hartnäckige Dermatopathien (Hamilton und Jäger, zit. nach Clarus, Handb. d. spec. Arzneimittell., S. 655; Bentley and Trimen, Medicinal Plants, Bd. I, S. 14, London 1880.) angewandt, innerlich in kleinen Gaben als krampfstillendes Mittel. So verordnete Reil (Reil, Materia medica der Pflanzenstoffe, 1891.) die Tinct. Cocculi bei Chorea, rheumatischen Lähmungen und Pertussis, Cornet (Cornet, Therap. Monatsh. 1891.) bei Epilepsie, Planat (Planat, Journ. de Thérap. 1875.) bei Chorea, Epilepsie und Gliederkrämpfen.

Nach Potter (Potter, Handbook of Materia Medica, Pharmacy and Therapeutics, S. 386, Manchester 1898.) wird das in den Kokkelskörnern enthaltene Picrotoxin (vgl. unten) hauptsächlich bei nervösen Affektionen gebraucht. Epilepsie würde besonders dann günstig beeinflußt, wenn die Anfälle hauptsächlich nachts eintreten und auf Anämie und Onanie zurückgeführt werden. Gute Erfolge seien damit auch bei Lähmungen, insbesondere des Sphinkters, Hemiplegie und Paralysis agitans, ferner bei den nächtlichen Schweißen der Phthisiker, flatulenter Kolik, Dyspepsie mit Flatulenz, Erbrechen mit Schwindelgefühl, Kopfschmerzen und Licht- und Geräuschempfindlichkeit erzielt worden. Zwei Tage vor Eintritt der Menstruation gegeben, hätte sich Cocculus bei Dysmenorrhöe bewährt, ferner bei wäßrig-eitrigem Fluor albus.

Lewin (Lewin, Nebenwirkungen der Arzneimittel, S. 265.) beobachtete eine schweißhindernde Wirkung des Picrotoxins bei Phthisikern in 2/3 der Fälle. Bei Epileptikern sah er nach subkutaner Injektion von 0,0015 g Auftreten eines Anfalles nach 20-30 Minuten.

In der deutschen homöopathischen Literatur (Stauffer, Klin. hom. Arzneimittell., S. 369; Schmidt, Lehrb. d. hom. Arzneimittell., S. 106; Heinigke, Handb. d. hom. Arzneiwirkungsl., S. 194.) wird Cocculus bei Neigung zu Krämpfen, Schwindel, Kopfschmerzen, nervöser Erschöpfung, Eisenbahnkrankheit, funktionellen Lähmungen, Blasenkrampf, Dysmenorrhöe, Kolik und gichtischen und rheumatischen Affektionen ohne erhebliche Entzündungserscheinungen empfohlen.

Im Jahre 1811 wurde von Boullay (Boullay, Annales de Chimie, 1811.) das aktive Prinzip der Kokkelskörner, das Picrotoxin, isoliert. Dieses wirkt erregend auf die motorischen Elemente des Zentralnervensystems, in erster Linie des verlängerten Marks und daneben des Rückenmarks. Als Charakteristikum der Picrotoxinvergiftung wird das kombinierte Auftreten von klonischen und tonischen Krämpfen angesehen. Daneben bewirkt es am zentralen Ende aller kranial- und sakral-autonomen (parasympathischen) Nerven eine Erregung. Letztere Wirkung wird auch besonders deutlich durch das Verhalten der Pupille picrotoxinvergifteter Tiere gezeigt, im Krampfanfalle sind die Pupillen stark erweitert, in der anfallsfreien Zeit dagegen verengt. Weiter wurden als Picrotoxinwirkungen beobachtet: Erbrechen (zentral bedingt), Steigerung der Schweiß- und Speichelsekretion, Abnahme der Herzfrequenz, Blutdrucksteigerung, primäre Atembeschleunigung und sekundäre Atemverlangsamung (Trendelenburg, in Heffter-Heubners Handb. d. exp. Pharm., Bd. II, S. 406 ff.). In bezug auf den Wärmehaushalt konnten Siegl (Siegl, Dissertat. Kiel 1891.), Keck (Keck, Dissertat. Kiel 1891.) u. a. als sekundäre Folge der Picrotoxinkrämpfe Temperatursteigerungen beobachten, während Harnack und seine Mitarbeiter (Harnack u. Hochheim, Ztschr. f. klin. Med., 25, 16, 1894.) eine primäre Herabsetzung der Körpertemperatur feststellen konnten.

Die Lungen picrotoxinvergifteter Tiere sind blutreich und ödematös, die Magenschleimhaut zeigt Rötung und Blutaustritte (Henke-Lubarsch, Handb. d. spez. path. Anat. u. Hist., Bd. 10, S. 444.). Bei den Vergiftungserscheinungen, die Orfila (Orfila, Allgem. Toxikol., Bd. 2, S. 350.) durch seine Versuche mit Picrotoxin erzielte, herrschten heftige Konvulsionen vor. Bemerkenswert ist, daß bei Vergiftung mit nur grob zerquetschten Kokkelskörnern diese nicht beobachtet wurden.

Die Alkaloide verschiedener japanischer Cocculusarten kontrahieren bei Injektion die Darm- und Uterusgefäße, schwächen die Herztätigkeit und setzen den Blutdruck herab (Horiuchi, Jap. med. Sci., Transl. IV. Pharmacol. 1930, Bd. 5, S. 88.).

Nach French (French, Mercks Arch. 1905.) zeigt das Vergiftungsbild durch geringe Dosen von Cocculus Kopfschmerzen, Schwindel, Nausea, allgemeine Depression, leichte Anästhesie mit Koordinationsstörungen und spasmodischen Zuckungen in der Muskulatur, während stärkere Dosen zu Schläfrigkeit, Stupor, Koma führen, manchmal auch zu Delirien mit tonisch-klonischen Krämpfen und häufigem Erbrechen.

Außer dem Picrotoxin werden als Inhaltsstoffe noch genannt (Wehmer, Die Pflanzenstoffe, 1929, Bd. I, S. 333.): Cocculin, Äpfelsäure, Salpeter und Chlorkalium. Frühere Untersucher nennen ferner noch Menisperminsäure und Hypopicrotoxinsäure, fettes Öl sowie etwas Butter-, Essig- und Ameisensäure und Cholesterin u. a.

Über die Cocculuswirkung vgl. auch die Arbeit von Linn J. Boyd (Linn J. Boyd, Journ. of the American Institute of Homoeopathy, April 1923; nachstehend das umfassende Literaturverzeichnis der zitierten Arbeit:


Sprengel, Berlin. Jahrb. 1882.
Chevalier, Annales d'hygiène, 1843.
Brunner, Curieux de la nature, 1668..
Goupil, Bulletin, Soc. de Med. 1807.
Boullay, Annales de Chimie, 1811.
Courrant, Thesis de Paris, 1813.
Orfila, Traité des Poisons, 1826.
Hahnemann, Fragmenta de viribus.
Lecanu, Journal de Pharmacie, 1826.
Pelletier, Académie de Med. 1827.
Constatt, Jahresber., Bd. 5, 1884.
Clover, Lancet, 1851.
Bonnefin, Thèse de Paris, 1851.
Cayrade, Les poisons convulsivants, 1866.
Thompson, Philadelphia Med. Examiner, 1852.
Roeber, Physiol. Wirkg. d. Picrotoxin, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1869.
Planat, Journ. de Thérap., 1875.
Brown, Brit. Med. Journ. 1875.
Amagat, Antagonismes en therapeutique, 1875.
Vulpian, Lec. subst. toxiques, 1882.
Chirone, Annali di Med. et Chir., 1881.
Orvighi u. Santini, Florence, 1882.
Guinard et Dumarest, Arch. internat. de Pharmacodynam. 1899.
Hahnemann, Reine Arzneimittellehre.
Cowperthwaite, Materia medica.
Farrington, Klinische Arzneimittellehre.
Hughes, Manuel of Pharmacodynamics.
Taylor, Treatise on Poisons.
Nationaldispensation 1879.
Grünwaldt, Arch. exp. Path. u. Pharm. 1909.
Shaw, Medical News, 1891.
Sosinski, Medical News, 1883.
French, Mercks Arch., 1905.
Pollock, Arch. Int. Med., 1915.
Pollock u. Holmes, Arch. Int. Med., 1913.
Sollman, Textbook of Pharmacology. Eggleston, Textbook Pharm. and Exp. Ther., 1911.
Blythe, Poisons, Effect and Detection, Bd. II.
Luchsinger, Physiologische Studien, Leipzig 1882.
Reil, Materia medica der Pflanzenstoffe.
Cornet, Therapeutische Monatshefte 1891.).

Die zur Wertbestimmung erforderliche quantitative chemische Bestimmung des Picrotoxins wurde in meinem Laboratorium ausgearbeitet. Diese Methode wurde mit der früher ausgearbeiteten biologischen Wertbestimmung an Fischen (Jahrbuch Madaus 1933, S. 25.) verglichen und gefunden, daß die chemische Bestimmung übereinstimmende Werte mit der biologischen Bestimmung lieferte.

Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:

Cocculus ist fast als ein Spezifikum gegen Seekrankheit, Schwindel und Kopfschmerzen zu bezeichnen. So leistet es ganz ausgezeichnete Dienste bei angiospastischen Kopfschmerzen (häufig auf den Hinterkopf beschränkt), bei Vertigo, Nausea, Morbus Menière und nicht nur See-, sondern auch Eisenbahnkrankheit. Auch in Form des Oligoplexes wird es gegen Seekrankheit sehr gelobt, so wird mir geschrieben: "Cocculus Oligoplex hat mir ausgezeichnete Dienste gegen Seekrankheit geleistet. Bei einer Norwegenfahrt hatten wir Windstärke 9 bis 10. Während 80% der Passagiere 'opfern' mußten, habe ich von einem Unwohlsein oder dergleichen nichts gespürt." Nach Prater, Radebeul, ist Cocculus noch mehr gegen die Eisenbahnkrankheit als gegen die Seekrankheit indiziert.

Von guter Wirkung ist Cocculus bei Lähmungen, auch postdiphtherischen, Krämpfen, Epilepsie mit unwillkürlichem Kot- und Harnabgang, Schlaflosigkeit nach körperlichen und seelischen Überanstrengungen, Folgen von Alkoholmißbrauch und Frauenleiden nervöser Art (Dysmenorrhöe, Kreuzschmerzen, Klimakteriumsbeschwerden und Hyperemesis gravidarum).

Weniger oft wird es bei Darmträgheit und -kolik, Gastritis, Cholangitis und Typhus abdominalis verordnet. Bei Blutstauungen infolge Adipositas empfiehlt Busch Cocculus D 4-6 im Wechsel mit Crocus D 4.

Als Wechselmittel werden Nux vomica, Gelsemium und Tabacum empfohlen.

Angewandter Pflanzenteil:

Die Kokkelskörner, die Früchte von Anamirta cocculus Wight et Arnott, werden seit dem 16. Jahrhundert in der europäischen Heilkunde genannt (Bauhin, v. Haller, Geiger, Clarus, Zörnig usw.).

Außerdem kennt Dragendorff noch die Verwendung der Wurzel und Stengel gegen Intermittens.

Das HAB. läßt die homöopathische Urtinktur aus den reifen, getrockneten Früchten bereiten (§ 4). Aus diesen wird auch das "Teep" gewonnen. Fructus Cocculi sind offizinell in Mexiko und Venezuela.

Dosierung:

Übliche Dosis:
0,12-0,9 g Tinct. Cocculi (1 : 8) (Potter);
0,06-0,18 g des Fluidextraktes (Potter);
0,001-0,002 g Picrotoxin zwei- bis dreimal täglich (Klemperer-Rost);
1 Tablette der Pflanzenverreibung "Teep" dreimal täglich. (Die "Teep" -Zubereitung ist auf 1% Pflanzensubstanz eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,0025 g Sem. Cocculi.)
Bei einem Pikrotoxingehalt der Droge von 1,5% enthält 1 Tablette zu 0,25 g (entsprechend 0,0025 g Semen Cocc.) 0,037 mg Pikrotoxin.

In der Homöopathie:

dil. D 3-6.

Maximaldosis:

Für Sem. Cocculi nicht festgesetzt.
Für Picrotoxin: 0,002 g pro dosi, 0,006 g pro die (Gall.); 0,01 g pro dosi, 0,02 g pro die (möglichst nicht überschreiten. Ergb.).

Rezeptpflichtig:

Picrotoxin.

Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.