Herniaria glabra. Kahles Bruchkraut. Caryophyllaceae.

Botanical name: 

Name: Herniária glábra L. (= H. vulgaris Spreng. var. glabra Griesselich, = H. arenaria var. glabra O. Kuntze, = H. fruticosa Gouan. = H. alpestris Aubry). Kahles Bruchkraut, Tausendkorn. Französisch: Herbe du Turc, turquette glabre; englisch: Glabrous rupturewort; dänisch: Bridurt, Brudeurt; litauisch: Skleistenis; polnisch: Polonicznik; russisch: Gryznik; tschechisch: Průtžník lysý, husí mýdlo, stozrno; ungarisch: Porcikafü.

Weiteres Vorkommen: Nordafrika. Vorderasien, Dsungarei, Altai, Sibirien.

Namensursprung: Herniaria, vom lateinischen hernia = Bruch nimmt auf die frühere Verwendung unserer Art gegen Bruchleiden Bezug; glabra = kahl bezeichnet den Habitus der Pflanze im Gegensatz zum behaarten Bruchkraut.

Volkstümliche Bezeichnungen: Da die Pflanze wie Seife aufschäumt, wird sie in Westpreußen "Kuckucksseife" genannt.

Botanisches: Die ausdauernde Pflanze mit kahlem, bis zu 30 cm langem Stengel ist weit über Eurasien und Nordafrika verbreitet. Sie lebt auf trockenen Sandfeldern und Wiesen mit kieselhaltiger Unterlage, in den Steinfugen der Uferdämme und gehört zu den Kalkflüchtern. Die elliptischen Laubblätter sind gegenständig. Oft ist das eine Blatt des Laubblattpaares, in dessen Achsel sich der kleine zehnblütige, grüne Blütenknäuel entwickelt, kleiner oder ganz unterdrückt. Dann erscheinen der Blütenstand blattgegenständig und die Blätter wechselständig. Die Frucht ist eine Schließfrucht. Blütezeit: Juni bis Herbst.

Geschichtliches und Allgemeines:

Es lassen sich keine sicheren Belegstellen dafür finden, daß der Gebrauch der Pflanze in der Heilkunde weiter als bis ins Mittelalter zurückgeht. Der Name Herniaria findet sich zuerst bei Dodonaeus (1517-1585). Neben der Hauptverwendung gegen Bruchleiden wurde das Kraut viel als Diuretikum benutzt. Es geriet dann längere Zeit in Vergessenheit und ist erst in neuerer Zeit wieder mehr in Gebrauch gekommen. - Die Festigkeit, mit welcher das Bruchkraut seine Stengel mittels Würzelchen im Boden verankert hält, hat Anlaß zu dem Aberglauben gegeben, daß selbst eine Hexe aus einem Haus, in welchem dasselbe aufbewahrt würde, nichts wegnehmen könnte. Daher ist der in Oberösterreich volkstümliche Name "Nimm ma nix" entstanden. Der beim Zerreiben der Pflanze auftretende kräftige Schaum ist durch den Saponingehalt bedingt.

Wirkung

Nach Weinmann (Weinmann, J. W., Phytanthoza iconographia, Regensburg 1742, Bd. III, S. 113.) wurde das Bruchkraut hauptsächlich gegen Bruchschäden (innerlich und äußerlich), als Diuretikum, bei Blasen- und Nierensteinen, Hydrops und Gelbsucht gebraucht. Er sagt zum Schluß: "Folglich kann man die große Krafft, die in einem so kleinen Kraut verborgen liegt, nicht genug bewundern."

Die im Bruchkraut enthaltenen Saponinsubstanzen verhindern - nach Kobert (Kobert, Beiträge zur Kenntnis der Saponinsubstanzen, 1904.) - das Zusammenballen des Harnsandes zu steinigen Konkrementen und steigern durch Vermehrung der Diurese dessen Ausscheidung.

Zeißl (Zeißl, zit. b. Kroeber, Pharm. Ztrh. 1924, Nr. 44, S. 606.) verordnet Herniaria fast als Spezifikum gegen Blasenkatarrh, insbesondere als spasmenlösend.

Nach Goliner (Goliner, Reichsmedizinalanzeiger 1906, Nr. 24.) und Banholzer (Banholzer, Ztschr. f. Krankenpflege 1907, Nr. 1.) verursacht die Pflanze keinerlei nachteilige Nebenwirkungen; in einer Mischung mit Uva ursi bewährte sich Herniaria diesen Autoren bei Stauungserscheinungen infolge Herz-, Nieren- und Gefäßerkrankungen und wird von ihnen bezüglich der diuretischen Wirkung sogar dem Coffein, Theobromin und Digitalis vorangestellt. Auch bei Albuminurie, chronischer Cystitis und Morbus Brighti erzielten sie gute Erfolge, während das Mittel bei frischer akuter Metritis versagte.

Deußen (Deußen, Dermatol. Wschr. 1925, S. 81.) befaßte sich eingehend mit dem Chemismus und der physiologischen Wirkung der Herniariainhaltsstoffe.

Bohn (Bohn, Die Heilwerte heim. Pflanzen, S. 39.) hält es für wirksam bei Katarrhen der Urethra, Anurie, Gonorrhöe und bei Tuberkulose.

Rock (Rock, Ztbl. f. Bakteriol. 1931, Bd. 103, S. 522.) sah bei Lupus vulgaris eine Wirkung der Herniaria-Saponine nach innerlichen Gaben von 4 g, die den Resultaten einer Tuberkulinkur ähnlich war; die Herderscheinungen waren im Gegensatz zu den Allgemeinerscheinungen sehr ausgeprägt. Die Allgemeinerscheinungen waren sehr gering.

Die Pflanze wird auch gern als Saponinzusatzkur benutzt. Rock (Rock, Wien. med. Wschr. 1936, Nr. 26.) berichtet in einer neueren Veröffentlichung über ihre wirksame und doch völlig ungefährliche Verwendung bei innerlichen Arsenkuren, vgl. auch Rezepte.

Nach Schulz (Schulz, Wirkg. u. Anwendg. d. dtsch. Arzneipfl., S. 115.) ist das Bruchkraut ein altbekanntes Volksmittel bei chronischem Blasen- und Bronchialkatarrh und ein Hilfsmittel bei inveterierter Lues.

Daebler (Daebler, in Kobert, Neue Beiträge zur Kenntnis der Saponinsubstanzen, 1916, Bd. I, S. 65.), ein Schüler Koberts, stellte in der Pflanze neutrales und saures Saponin fest. Er konnte nach Verabfolgung der Droge nicht nur im Kot, sondern auch im Harn Sapogenin nachweisen und durch Isolierung sicherstellen. Im Tierversuch wurden niemals Erbrechen, Durchfälle oder andere störende Nebenwirkungen beobachtet. Zur Ausnützung auch des sauren Saponins empfiehlt Daebler, Dekokte bei Anwesenheit von Natrium carbonicum herstellen zu lassen, bzw. wenn das aus therapeutischen Gründen nicht angängig ist, einen alkoholischen Pflanzenextrakt zu verwenden.

Das Kraut fängt beim Trocknen an nach Cumarin zu duften. Als Ursache wurde das Kumarinderivat Herniarin (Gobley, J. de pharmacie et de chim. 1874, Nr. 20, S. 270; Barth. u. Herzig, Wien. Akad. Sitzungsberichte Math. Naturwissen. Kl. 1889, Nr. 98, S. 150.), das Methylester des Umbelliferons, festgestellt, das möglicherweise auch die Ursache der Wirkung auf Blasentenesmen ist. Weiterhin ist ein widerlich riechendes, zentral lähmendes Alkaloid Paronychin vorhanden (Schneegans, J. der Pharmazie f. Elsaß-Lothringen 1890.).

Bezüglich des Saponingehaltes wurde in der homöopathischen Tinktur ein hämolytischer Index von 1 : 1200 festgestellt (Nach eigenen Untersuchungen; vgl. auch Kuhn u. Schäfer, Pharm. Zentrh. 1935, Nr. 80, S. 275.).

Das Saponin befindet sich nur in den äußeren, oberflächlich gelegenen Zellen der Pflanze und kommt, was die Wurzeln anbelangt, nur in denjenigen der perennierenden Pflanzen vor. In den Samen befindet sich kein Glykosid. In der Blütezeit enthält die Pflanze am meisten wirksame Substanzen (Schulek, Berichte der Ungar. pharm. Ges. 2. (1926) S. 200.).

Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):

Litauen: Das Infus des Krautes als Diuretikum.

Polen: Als harntreibendes Mittel bei Nierenleiden.

Ungarn: Bei Brüchen, Nierensteinen und Gelbsucht.

Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:

Herniaria glabra wirkt stark diuretisch und kann fast als Spezifikum bei chronischer Cystitis bezeichnet werden. Weiter wird es bei Stein- und Konkrementbildung der Harnorgane, Nierenkolik, Albuminurie, Tenesmus vesicae, Retentio urinae, Pyelitis, Urethritis, Gonorrhöe und Hydrops verwendet. Bei Gallensteinen und akuter Nephritis ist dagegen der Gebrauch zu vermeiden.

Gute Einwirkung wurde auch bei Tuberkulose, Bronchialkatarrh und tertiärer Syphilis beobachtet.

Äußerlich angewendet, gilt das Kraut als wundheilend und wird gern zu Auflagen bei Brüchen benützt.

Herniaria glabra wird häufig im Teegemisch mit Uvaursi, Equisetum, Juniperus und Rubia tinctorum verordnet.

Angewandter Pflanzenteil:

v. Haller berichtet, daß man die Pflanze meist gedörrt verordnet habe.

Geiger. läßt das Kraut mit Blüten verwenden.

Zörnig führt das zur Blütezeit gesammelte getrocknete Kraut an.

Buchheister und Ottersbach nehmen auch die Wurzel mit.

Das blühende getrocknete Kraut läßt auch Dinand nehmen.

Bohn spricht von einer Abkochung des ganzen Krautes.

Schulz erwähnt den Tee von getrocknetem Kraut.

Wasicky nennt die getrockneten oberirdischen Teile der Pflanze.

Hager empfiehlt nur die oberirdischen Teile der blühenden Pflanze und läßt die Tinktur aus der getrockneten Droge herstellen.

Thoms rät, die blühende Pflanze über dem Boden abzuschneiden, erster Schnitt im Juli, im Herbst u. U. ein zweiter.

Kroeber, der Wasicky zitiert, schreibt, daß die Droge beim Lagern an Wirksamkeit einbüßt.

Das "Teep" wird demnach aus der frischen, zur Blütezeit (Juni bis September) gesammelten Pflanze ohne Wurzel bereitet.

Zur Herstellung der homöopathischen Urtinktur nach dem HAB. wird die im Juli gesammelte frische Pflanze ohne Wurzel verwendet (§ 3).

Für Saponin enthaltende Pflanzen ist wahrscheinlich die günstigste Tageszeit zur Ernte der Spätnachmittag.

Herba Herniariae ist in Österreich und Serbien offizinell.

Dosierung:

Übliche Dosis:
3 Teelöffel voll (= 5,8 g) des Krautes zum kalten Auszug oder heißen Infus täglich.
1 Teelöffel voll der Frischpflanzenverreibung "Teep" dreimal täglich.
(Die "Teep"-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt.)

Maximaldosis:Nicht festgesetzt.

Rezepte:

Bei Cystitis (nach Kroeber):

Rp.:
Hb. Herniariae glab. (= Bruchkraut)
Hb. Chenopodii ambr. . . . aa 20 (=Kraut v. Wohlriechenden Gänsefuß)
Fol. Uvae ursi . . . 60 (= Bärentraubenblätter)
M.f. species. D.s.: Von der Abkochung einbis zweimal täglich 1 Tasse warm trinken.
Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 2 Teelöffel voll auf 2 Glas Wasser, vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Rezepturpreis ad chart. etwa -.87 RM.

Als Saponinzusatzkur (nach Rock):

Rp.:
Hb. Herniariae (= Bruchkraut)
Flor. Tiliae . . . aa 30 (= Lindenblüten)
M.f. species. D.s.: 1 gestrichenen Eßlöffel voll mit 1/4 1 kochendem Wasser 10 Minuten ziehen lassen, durchsieben und nach Geschmack gesüßt trinken.

Bei Erkrankungen der Harnorgane, insbesondere chronischer Cystitis, Tuberkulose und Bronchialkatarrh:

Rp.:
Hb. Herniariae c. rad. conc. 50 (= Bruchkraut mit Wurzel)
D.s.: 3 Teelöffel voll mit 3 Glas Wasser kalt ansetzen, 8 Stunden ziehen lassen und tagsüber trinken.
(Teezubereitung: Der aus der ganzen Pflanze im Verhältnis 1:10 heiß bereitete Tee ergab einen Extraktgehalt von 2,72% gegen 2,55% bei kalter Zubereitung. Der Glührückstand war im ersten Falle 0,55%, im zweiten Falle 0,51%. Der hämolytische Index, herrührend vom Saponingehalt der Droge, war bei heißer Zubereitung 1 : 100, bei kalter 1 : 80. Die Peroxydasereaktion war beim kalt bereiteten Tee positiv, und zwar erst nach 15 Minuten, und fiel sehr schwach aus. Ein im Verhältnis 1 : 100 angesetzter Tee ist gut trinkbar und zeigt zwischen beiden Zubereitungsarten kaum einen Unterschied. Der Tee 1 : 50 schmeckt unangenehm.n1 Teelöffel voll wiegt 1,6 g, so daß der Tee mit einem Teelöffel auf 1 Teeglas heiß oder kalt angesetzt werden kann.).
Rezepturpreis ad chart. etwa -.52 RM.

Species diureticae Hasse:

Rp.:
Fol. Uvae ursi . . . 70 (= Bärentraubenblätter)
Rad. Ononid. (= Hauhechelwurzel)
Lign. Sassafras (= Fenchelholz)
Hb. Herniar. . . . aa 20 (= Bruchkraut)
Fruct. Petroselini . . . 5 (= Petersiliensamen)
Fol. Menthae pip. . . . 15 (= Pfefferminzenblätter)
M.f. species.
Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 2 Teelöffel voll auf 2 Glas Wasser, vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Rezepturpreis ad chart. etwa 1.56 RM.

Bei entzündlichen Erkrankungen der Harnwege (nach Meyer):

Rp.:
Hb. Herniariae gl. (= Bruchkraut)
Fol. Uvae ursi (= Bärentraubenblätter)
Seminis lini (= Leinsamen)
Rad. Levistici . . . aa 25 (= Liebstöckelwurzel)
M.f. species. D.s.: 1 Eßlöffel auf 1 Tasse Wasser abkochen. Mehrmals täglich 1 Tasse nehmen.
Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 3 Teelöffel auf 2 Glas Wasser, vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Rezepturpreis ad chart. etwa -.91 RM.

Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.